Schauplatz Tatort

Der Tatort ist Ikone deutschen Fernsehschaffens. Hunderte von Fällen und Kommissaren, Städte, Milieus und gesellschaftliche Themen – dazu Anthologien und Abhandlungen darüber, was der Tatort für die Menschen in diesem Land bedeutet. Man könnte meinen, dass alles bereits zu dieser Reihe gesagt ist. Gleichwohl hat das Autorenteam um Alexander Gutzmer etwas vorgelegt, was die Fans der Reihe inspirieren und faszinieren dürfte. Mit „Schauplatz Tatort“ blickt der architektonische Kenner auf die Filme. Dies führt zu einem Kaleidoskop, in dem Fans der Reihe viele Details gezeigt werden – vor allem aber neue Erkenntnisse darüber, wie Gebäude und ihre Gestaltung auf die Reihe und ihre Menschen wirken.

Das Buch nähert sich dem Tatort über zwei Zugänge. Zunächst gibt es einen fast klassischen Überblick über die aktuellen Protagonisten. Alphabetisch werden sie abgehandelt – von Berlin über Münster bis Wiesbaden. Beschrieben werden kenntnisreich die Wohn- und Arbeitsorte der männlichen und weiblichen Kommissare. Die Übersicht scheint punktuell zu sein, doch erkennt der Leser auf den zweiten Blick die gewollten größeren Zusammenhänge.

Privat sind nach der Beobachtung der Autoren die Kommissarinnen offensichtlich eher in der Lage, ihrem privaten Wohnraum eine harmonische Note zu geben. Klara Blum, Inga Lürssen oder Charlotte Lindholm werden hier genannt, nicht ohne den kritischen Unterton, dass diese Art zu leben kaum als stil- oder charakterbildend bezeichnet werden kann. Männer hingegen sind von wenigen Ausnahmen eher chaotisch, mitunter gar verkommen. Dass ausgerechnet Till Ritter aus Berlin als einziger etwas zeigt, was heute als moderner Wohnraum bezeichnet werden kann, ist die Ausnahme.

Die andere Welt ist die der Präsidien, in denen die Ermittler arbeiten. Hier stellen die Autoren einen Trend fest, Bauten der Moderne neu zu inszenieren. Sie sind nicht nur reine Funktionsarchitektur, sondern werden als cool begriffen. Gerade die jüngeren Tatorte werden hier genannt: Bremen (in einem leer stehenden Hochhaus der Bundeswehr) oder Hamburg (im Ergo-Hochhaus der City Nord). Im Kontrast dazu steht das „Präsidium“ in Hannover, das entgegen aller Sparbemühungen in der Zentrale der NordLB angesiedelt ist. Die simpelste Lösung bietet der SWR, dessen drei Ermittlerteams in einer ehemaligen Schule in Baden-Baden untergebracht sind.

Bundeswehrhochhaus Bremen

Der zweite Zugang erfolgt über die Architektur von sieben Städten: Duisburg, Essen, Frankfurt, Berlin, Münster, München, Hamburg. Hier wirkt die Reihe als ein Abbild von städtischer Entwicklung. Nicht zufällig macht den Auftakt Duisburg, eine Stadt, die sich seit Horst Schimanskis Zeiten dramatisch verändert und seine industrielle Seele verloren hat. München steht für Gentrifizierung, wie sie auch Dominik Graf in seinem Interview betont. Hamburg wird zum Modellfall einer Stadt, die seit Beginn an Schauplatz ist und seit 45 Jahren von den Kommissaren entdeckt, touristisch präsentiert und seit Cenk Batu neu rekonstruiert wird. So werden die einzelnen Städte klug und mit eigenen Schwerpunkten präsentiert und in ihrem besonderen Bezug zum Tatort erzählt.

Diusburg - Matena Tunnel

Ergänzt werden diese Kernthemen durch Essays und Interviews. Gerade in den Gesprächen mit den Menschen hinter der Kamera erhält man interessante Einsichten, so Dominik Grafs Verdikt, dass die Architektur der 70er Jahre heute nicht mehr verstanden würde oder die Begegnung mit den realen Augen in Person von Horst Lettenmeyer, die bis heute zum Vorspann eines jeden Tatortes gehören. Spannend zeigt Oliver Elser auf, wie moderne Architektur als Inszenierung des Bösen genutzt wird – so die Diözesanbibliothek Münsters in „Herrenabend“ oder das Colani-Ei im ersten Dortmunder Tatort. Dagegen fallen die Interviews mit aktuellen Kommissaren ab, die eher schematisch wirken.

Ein besonderes Schmankerl für alle Tatort-Fans dürfte die Gegenüberstellung von zwei Typen sein, die jeweils als Kind ihrer Zeit für eine eigene besondere und fast archaische Männlichkeit stehen – Nick Tschiller und Horst Schimanski.

Das Buch, reich bebildert und mit vielen kenntnisreichen Details versehen, ist eine Fundgrube für Fans der Tatort-Reihe. Aber auch jene, für die der Sonntag Abend nicht zu einem wöchentlichen Ritual gehören, werden an dem Buch Freude haben, weil es sich einer medial inszenierten Welt über das Thema Architektur sehr klug nähert.

Udo Wachtveitl, Alexander Gutzmer, Guido Walter, Oliver Elser: Schauplatz Tatort. Die Architektur, der Film und der Tod; Callwey Verlag, 39,95 €

Schauplatz Tatort - Cover

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o.kettmann Oktober 31, 2013 Allgemein