Berlin und Bouzow – Ein Gespräch mit Dennis Gansel

Orte sind für die Dramaturgie eines Filmes unverzichtbar. Diese simple Wahrheit wäre zunächst keine Anmerkung wert. Wie sehr Orte aber auch einen Film vorantreiben können, erfuhren wir in einem Gespräch mit Dennis Gansel. Der Regisseur hatte mit seinem Erstlingswerk „Das Phantom“ bereits 2000 den Grimme-Preis gewonnen. Es folgten mehrere erfolgreiche Filme, von denen „Napola“ und „Wir sind die Nacht“ durch ihre Bilder visuell bestachen. Die Orte waren dafür ein Grund.

Burg Bouzov ist die „Napola“, ein burgartige Anlage, in der ein Eliteinternat der NSDAP untergebracht ist. Der Film ist eine Coming-out-of-Age-Geschichte, in der Friedrich – gespielt von Max Riemelt – seine Zukunft sucht. Der Drehort wird in der Handlung immer wieder zur Unterstreichung der Stimmung und ihrer Umschwünge eingesetzt. Für Dennis Gansel war der Ort in Tschechien nach längerer Suche die beste Wahl unter verschiedenen Möglichkeiten. Ausschlag gebend war die Mischung aus romantisierenden Elementen und der Trutzigkeit der Anlage. Beides findet sich im Film wieder. Dass dabei ein wesentlicher Teil der Innenszenen nicht in der eher kleinen Anlage gedreht werden konnte, ist nicht spürbar.

Deutlich wird aber die Wandelbarkeit der Burg. Dies gilt sowohl für die Panoramaansicht als auch den Burghof mit seiner Brücke. Das Panorama unterstreicht zwei Mal, wie sich im Film die Stimmung wandelt. Im ersten Drittel noch heiter und fast freundlich, wird sie später die düstere Winterburg, die ihre Schatten auf die Schüler wirft. Ähnliches geschieht mit der Brücke, die von der Außenmauer in den inneren Teil der Burg führt. Zu Beginn steht sie noch als Symbol für den Weg in eine bessere Welt. Später ist sie nur noch Teil der Schikanen, die der Schleifer den jungen Männern antut. Hier bot die Burg Dennis Gansel die optimale Möglichkeit, bewusst die Stimmungen des Filmes zu unterstreichen.

Ein Höhepunkt ist dabei die Schlussszene. Friederich wird von der Schule verwiesen und ein letztes Mal gedemütigt. Er verlässt die Burg, die langsam im Schneefall verschwindet. Er lässt sie hinter sich und es bleibt, wie Max Riemelt es gegenüber dem Regisseur ausdrückte, das Gefühl: „Ihr habt es nicht geschafft“.

Anders im Vampir- und Berlinfilm „Wir sind die Nacht“, der am Anfang seiner langen Entwicklungsgeschichte eigentlich in Prag spielen sollte. Hier ließ sich der Regisseur von einer Vielzahl von Orten inspirieren, die dann in den Szenen teilweise eine spektakuläre Rolle spielte. So atmet die Schlussszene am Berliner Teufelsberg auch die Geschichte des Ortes: Wehrtechnische Schule im Nationalsozialismus – Trümmerberg in der Nachkriegszeit – Horchposten der Allierten – Naherholungsgebiet. Im verfallenden Horchposten spiegelt sich visuell der Tod Louises mit dem abschließenden Verschwinden Lenas wieder.

Dies gilt auch für zwei weitere Motive, die ihre eigene Geschichte haben. Einen Tag in der Karibik gönnen sich die vier Schönheiten. Im Kunstlicht geht die Sonne in der großen Halle des Cargolifters auf, das größte Gebäude Deutschlands und heute Ort eines Freizeitparks. Auch das Haus Cumberland, das Kulisse für die Hotelszenen der vier Frauen ist, geht auf das Kaiserreich zurück und hat seitdem spektakuläre Höhen und Tiefen erlebt. Das Hotel Adlon hingegen taucht, obschon man gerade bei dem morbiden Dinner den Eindruck haben könnte, im Film nicht auf.

Es sind für Dennis Gansel gerade die Geschichten solcher Häuser, die ihn bei diesem Film inspirierten. Für den etwas überdrehten Film bekamen die einzelnen Orte fast eine eigenständige Rolle. Verfall, der ja auch wesentliches Element der Geschichte der Vampirinnen ist, findet so seine räumliche Entsprechung in den Motiven: Bad Lichtenberg, Cargolifter, Haus Cumberland und am Ende der Teufelsberg.

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o.kettmann Juni 12, 2012 Filme, Orte