Nordsee von oben – Ein TV-Tip
Stefan Aust sagte vor Jahren einmal, dass die moderne Kameratechnik den Dokumentarfilm revolutioniere. Wie sehr er damit Recht hat, kann man an diesem Wochenende bewundern. Die beiden Dokumentarfilmer Silke Schranz und Christian Wüstenberg zeigen, was mit moderner Kameratechnik möglich ist, um die Faszination eines besonderen Meeres aus einer ungewöhnlichen Perspektive einzufangen: Die Nordsee von oben.
Die meisten Leser werden die Nordsee aus der klassischen Perspektive kennen, die auch die meisten Filmemacher sich zu Nutze machen. Mit festen Füßen steht man auf dem Strand und hat das Meer vor Augen – mal ruhiger, mal weniger ruhig. Sylt (schon 1956 mit „Herrscher ohne Krone“ oder 2010 mit „The Ghostwriter“ von Roman Polanski) oder Amrum (mit einigen TV-Movies in den letzten Jahren, u. a. dem herrlichen „Mörder auf Amrum“) seien als Beispiele genannt. Kennt man aber die See wie der Autor auch aus der Gegenperspektive, so mischt sich in die Romantik der Respekt vor den Gewalten des Meeres und einer unendlichen Schönheit, wie sie nur die urtümliche Natur hervorbringen kann.
Zwei Filme haben diese Faszination in den vergangenen Jahren versucht einzufassen. „Die Nordsee – unser Meer“ legt seinen Schwerpunkt stärker auf Axel Prahl, der den Film in unnachahmlicher Weise erzählt und zeigt die unterschiedlichen Länder und Tiere.
Silke Schranz und Christian Wüstenberg betrachteten das Meer mit anderem Blick. Die beiden Dokumentarfilmer griffen auf nicht gezeigtes Material der ARTE-Dokumentation „Deutschland Küsten“ zurück. Nach der Sichtung wurde dies in einer Weise neu gemischt, dass einhellig von einem eigenständigen Film gesprochen wurde. Dabei folgt der Film einer klassischen Dramaturgie, indem er an der Ems beginnt und auf Sylt endet. Eingebettet sind kleinere Geschichten, doch ist die Nordsee der Star. Dabei spielen naturgemäß die Orte eine Rolle, die die beiden Filmemacher selbst besonders schön finden: die Priele mit dem vielfältigen Farbenspiel des Meeres und mit Amrum die Insel, die für Silke Schranz Urlaubsort der Kindheit war.
Dabei versetzt der Blick von der Augenhöhe in die Vogelperspektive den Zuschauer in eine andere Welt. Christian Wüstenberg, der selbst von der Küste kommt, dachte bis zu den ersten Bildern, dass er die Landschaft kenne. Doch die Bilder haben ihn dann so sehr fasziniert, dass er gemeinsam mit seiner Freundin den langen Weg gegangen ist, um den Film zu schaffen. Auf diese Weise ist ein Film entstanden, der aufregende Bilder einer Naturlandschaft zeigt, die als Randmeer einzigartig in Europa ist. Die deutsche Küste ist von den Inseln vor der Küsten Ost- und Nordfrieslands sowie den großen Mündungen von Elbe und Weser geprägt. Gezeigt wird das Land in allen Facetten. Bekannt sind die Perspektiven Helgolands oder des Hamburger Hafens. Doch der Blick auf den Fahrer einer Lore im Torfmoor und den Schäfer, der auf dem Deich die Schafe umweidet, zeigen Menschen in ganz anderer Weise. Dies gilt natürlich auch für die Städte, die am Meer liegen, seien es Hamburg oder Emden.
Überwältigend sind aber die Lichtspiele, die uns der Film zeigt. Das blaue Meer dürften auch jene kennen, die die freie See nur auf dem Bildschirm sehen. Doch die Farben des Watts wechseln überraschend. Wo man schlickgrau erwartet, kommen plötzlich die unterschiedlichsten grünen Schattierungen zum Leuchten. Dies wird nur gekrönt durch das Flimmern des Sonnenuntergangs. Es ergibt sich hier ein Farbspiel, von dem man denkt, dass es solches nur in der Karibik gibt – weit gefehlt. Die Sonne hinter dem Leuchtturm wirkt wie ein Bild von einer anderen Welt und liegt dabei doch vor der Haustür.
Dies war für Christian Wüstenberg eines der vielen neuen Dinge, die ihn inspirierten, gemeinsam mit seiner Freundin das Wagnis eines echten Autorenfilmes einzugehen – von Schnitt bis zum Vertrieb. Der Erfolg hat den beiden Recht gegeben. Seit der Premiere 2011 haben den Film über 220.000 gesehen und damit zu einer der erfolgreichsten Dokumentation im Kino der letzten Jahre gemacht.
Die Nordsee von oben – Deutschland , 2011 – ARTE, Samstag, 19. Juli 2014, 20:15 Uhr
o.kettmann Juli 17, 2014 Allgemein